RÜCKBLICKE AUS HAMBURG (DIE ZEIT, 10.3.2019)
Jahrelang beherrschten die Hedag-Elektrodroschken Hamburgs Straßen. © Staatsarchiv Hamburg
Als in Hamburg nur Elektrotaxis fahren durften
Vor 100 Jahren waren benzinbetriebene Taxis auf Hamburgs Straßen verboten. Die Vorteile von E-Autos lagen für die damaligen Entscheider auf der Hand.
Von Sebastian Kempkens, Die Zeit 10.3.2019
Die Zukunft fährt in Hamburg in goldenen Bussen und grünen Autos über die Straßen. Zumindest kann man diesen Eindruck bekommen, glaubt man den Firmen, die hinter den neuen Elektrotaxis stecken: dem Start-up Clevershuttle und VW mit seinem neuen Fahrdienst Moia. "On-Demand Mobility Services" würden die Art verändern, "wie sich Menschen durch die Städte und die Welt bewegen", schwärmt man bei Moia über sich selbst. Und bei Clevershuttle hält man sich ganz unbescheiden gleich für das "grünste" Taxi der Welt.
Mal abgesehen davon, dass jede Fahrradrikscha deutlich umweltfreundlicher sein dürfte, sind Elektrotaxis auf Hamburgs Straßen nicht so neu, wie es die Unternehmen glauben machen wollen. Sie waren, genau genommen, sogar zuerst da.
Um das Jahr 1900 bestimmten die elektrischen Fahrzeuge eines Unternehmens namens Hedag das Taxi-Gewerbe in Hamburg. Hedag stand für Hamburger Elektrische Droschken Automobil-Gesellschaft. Diese Firma hatte mit erfolgreicher Lobbyarbeit erreicht, was sich ein Unternehmen wie Tesla nur erträumen könnte: Benzinbetriebene Taxis waren auf Hamburgs Straßen per polizeilicher Verordnung verboten worden – auf Antrag der Hedag, die damit freie Bahn hatte. Entsprechend schnell wuchs die Elektro-Shuttle-Flotte: 1910 waren 59 Wagen in Betrieb, 1911 waren es schon 154, was wenig klingt im Verhältnis zur Gesamtzahl, damals aber rund ein Zehntel aller Autos ausgemacht haben dürfte.
Das Standardwerk zur Geschichte der Elektrotaxis, The Electric Vehicle, hat der niederländische Ingenieur und Historiker Gijs Mom geschrieben. Mom, angestellt an der Universität Eindhoven, erreicht man am Telefon in seiner Zweitheimat Andalusien. Die Vorteile eines batteriebetriebenen Fahrzeugs, erzählt er, lagen damals für die meisten Beobachter auf der Hand. Autos mit Benzinmotoren galten als laut und dreckig. Sie verpesteten die Straße mit ihren Abgasen, in der Bürgerschaft wurden sie als "Stinkbomben" beschimpft. Die Elektrodroschken waren laut Mom viel beliebter. Sie liefen leiser und abgasfrei, waren deutlich leichter und schonten damit die Straßen, was sie bei den Stadtverantwortlichen beliebt machte. Besonders für Taxiunternehmen, die viele Kilometer abspulten, erwiesen sich die Elektrodroschken als gut geeignet: Man musste eine hohe Kilometerzahl aufweisen, damit sich die Gefährte rechneten, erklärt Mom. Die leeren Batterien sein ausgewechselt und nachts geladen worden, wenn der Strom billig war.